Mit den zusätzlichen Strafzöllen von US-Präsident Donald Trump gegen Indien könnte das Fass nun endgültig übergelaufen sein. Sah man Indien als größte Demokratie der Welt bisher stets im „westlichen Lager“ und in Abhängigkeit vom amerikanischen Konsumentenmarkt, könnte sich die geopolitische Lage jetzt deutlich verändern und Indien noch weiter in die Arme des BRICS-Bündnisses und der Shanghai-Organisation treiben. Hintergrund ist, dass Trump Anfang April dieses Jahres anlässlich des „Tags der Befreiung“ Zölle für nahezu 100 Länder weltweit, insbesondere für die BRICS-nahen Staaten, verkündete. Während aktuell noch mit China verhandelt wird (es drohten Zölle von bis zu 145 %), hat die EU die Bedingungen Trumps brav geschluckt.
Indien jedoch ist in höchste Wallungen geraten, als die USA Ende Juli 25 % Einfuhrzoll für indische Waren erhob und jetzt weitere 25 % Strafzölle erhebt. Grund für letztere sind die ununterbrochenen Ölkäufe Indiens bei Russland, durch die Moskau Erlöse erzielt, die es für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine einsetzt. Auch Brasilien, das derzeit den Vorsitz der BRICS-Staaten innehat, ist von 50-prozentigen Zöllen der USA betroffen, da der ehemalige brasilianische Präsident Bolsonaro, ein Freund Trumps, wegen eines Putschversuchs unter Arrest steht. Die Zölle sollen Druck für Bolsonaros Freispruch aufbauen. Doch sowohl im Falle Indiens als auch im Falle Brasiliens geht die Rechnung nicht auf. Es herrscht reges Treiben untereinander, und am Ende könnten die BRICS-Länder gestärkt hervorgehen.
Der indische Premierminister Narendra Modi und Donald Trump im Weißen Haus am 14. Februar 2025. Quelle: indisches Außenministerium / Flickr Auf einmal geht im Westen die Sorge um, man habe Indiens Gunst verspielt. So äußert die Tageszeitung Die Welt in einem Kommentar vom 15. August die „Angst, dass Indien umkippt“. Darin wird die Politikwissenschaftlerin Amrita Narlikar zitiert, die von 2014 bis 2024 das GIGA-Institut in Hamburg leitete, eine Stiftung, die überwiegend vom Auswärtigen Amt in Berlin finanziert wird. Sie sagt, Indien habe schon immer Politik der „Multi-Alignment und strategischen Autonomie“ verfolgt. Das Land hatte eine auf die Sowjetunion zurückgehende historische Freundschaft mit Russland und pflegte dennoch „wertvolle strategische Partnerschaften mit der EU, Deutschland und Frankreich“. Frau Narlikar arbeitet heute als Expertin bei der Observer Research Foundation (ORF) in Neu-Delhi. Die ORF wurde 1990 von einem öffentlichen Energie- und Medienkonglomerat ins Leben gerufen und finanziert und gilt als einer der Top-Think-Tanks Indiens. Indiens Premierminister Narendra Modi hegt sogar eine enge persönliche Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Davon sollen ihn die Zollmaßnahmen Washingtons scheinbar mit Gewalt abbringen. Im vergangenen Oktober besuchte Modi den BRICS-Gipfel im russischen Kasan, wo er sich nicht nur mit Putin, sondern auch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping traf. Auch die bescheidenste Annäherung zwischen Neu-Delhi und Peking, die sich sonst eher argwöhnisch und teils feindselig gegenüberstehen, wurde im Westen mit Nervosität aufgenommen, so Narlikar. Dies sage jedoch „mehr über die Verunsicherung Europas und der USA als über die tatsächliche Lage im Osten“ aus. Lucas Leiroz, Mitglied des BRICS-Journalistenverbandes, schrieb in einer Kolumne, die US-Strategie gegen Indien sei im Begriff zu scheitern. Am 7. August habe Ajit Doval, Indiens nationaler Sicherheitsberater, den Kreml besucht. Nach ausgiebigen Diskussionen mit der russischen Führung habe er bekannt gegeben, dass die bilaterale Partnerschaft weiter gestärkt worden sei. Putin habe die Einladung angenommen, in den kommenden Monaten Indien zu besuchen. Gleichzeitig kündigte Modi an, Ende August definitiv zum Gipfeltreffen der Staatschefs der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) nach China zu fahren. Die SCO ist das weltweit größte Bündnis für Fragen der Sicherheits- und Entwicklungszusammenarbeit. Dies wäre sein erster Besuch in China seit sieben Jahren und ein eindeutiges Zeichen der Annäherung, da neben den multilateralen Formaten auch bilaterale Treffen erwartet werden. Leiros schließt daraus: „In der Praxis ist das, was derzeit geschieht, ein klarer Beweis dafür, dass die Sanktionsstrategie der USA keine Auswirkungen mehr auf die globale Geopolitik hat.
Die Erfahrungen von Ländern wie Russland, China, dem Iran und in jüngerer Zeit auch Indien zeigen, dass jeder Versuch, sie zu ‚bestrafen‘, sie zu weiteren Anreizen für multipolare Integrationsmaßnahmen, eine wirtschaftliche Entdollarisierung und den Ausbau des multilateralen Dialogs zwischen den Schwellenländern veranlasst. Durch die Verhängung von Sanktionen gegen rivalisierende Länder zwingen die USA diese dazu, geeint und kooperativ zu bleiben.“
Quelle:
Stephan Ossenkopp Multipolare Welt