Uli Burchardt: „Nichts ist gut in der Seenotrettung und wenig in der Migration“
Vorneweg: Lassen wir die Kirche doch bitte mal im Dorf. Wir sprechen hier ja über
Symbolpolitik: Wenn es für die Rettung von Menschenleben wirklich auf unsere
10.000 € aus dem Landkreis ankäme, dann müssten wir sofort auf 100.000 € oder
auf eine Million erhöhen. Ich sage seit Jahren: Wir können nicht Menschen im
Mittelmeer ertrinken lassen.
Es geht hier aber um den Blick auf uns, unsere Kommunen, unseren Landkreis: Wir
sind heute mehr denn je gefordert, unsere kommunalen Angelegenheiten erledigt zu
bekommen. Unsere Haushalte sind massiv überlastet, wir schaffen es nicht mal, die
aktuellen Aufgaben zu bewältigen, und wir bekommen ständig neue Aufgaben von
Bund und Land zugewiesen, und zwar leider in der Regel ohne die notwendigen
Ressourcen dafür zu bekommen.
Seit fast 10 Jahren sind erhebliche Ressourcen meiner Konstanzer Stadtverwaltung
wie auch der Landkreis-Verwaltung damit beschäftigt, irgendwie die
Flüchtlingsunterbringung zu organisieren. Und unser Staat lässt uns Kommunen
damit nach wie vor weitgehend allein, fast nichts ist besser, schneller, effizienter
oder einfacher geworden. Aber vieles ist teurer geworden, ineffizienter,
bürokratischer, schwieriger.
Aktuell leben 360 geflüchtete Menschen in Flüchtlingsunterkünften, die auf Dauer
nicht menschenwürdig sind. Und ich kann ihnen nicht sagen, wann sie in ordentlichen
Wohnraum kommen können. Wir haben unseren Job gemacht und Baurecht an vielen
Stellen in der Stadt geschaffen. Jetzt warten wir händeringend, dass endlich die
Förderprogramme von Land und Bund vernünftig ausgestattet werden, denn ohne
Förderung können wir nicht bauen, und ohne Neubauten können wir weder genug
Wohnraum für die KonstanzerInnen schaffen noch für neu ankommende Geflüchtete.
Es geht aber nicht nur um Wohnraum: Wir sind als Staat zum Beispiel auch nicht in
der Lage, alle diese Menschen in Arbeit zu bringen. Die übergroße Mehrheit der
Bevölkerung unseres Landes wünscht sich eine Migration, die so funktioniert, dass
die Menschen, die zu uns kommen, schnell in Arbeit kommen, einen eigenen Beitrag
zu unserem Gemeinwesen leisten, dadurch Integration erfahren und unsere Sprache
lernen, dadurch ein eigenes Selbstbewusstsein als vollwertige Mitglieder dieses
Landes entwickeln. Auch ich wünsche mir das. So funktioniert es aber leider nicht,
denn die Zukunft viel zu vieler Geflüchteter steht seit Monaten oder gar seit Jahren
auf Pause, sie stecken in irgendwelchen bürokratischen Mühlen.
Seit 5 Jahren finanziert der Landkreis Konstanz nun die Seenotrettung für
Geflüchtete mit, und nichts hat sich seitdem geändert – zu meinem großen Bedauern.
Es ist aber nicht der Job des Landkreises Konstanz, die Aufgabe von Staaten und
internationalen Strukturen zu übernehmen, um Migration menschenwürdig zu
gestalten. Ich erwarte, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten endlich ihrer Aufgabe
gerecht werden und Migration, Grenzen und Seenotrettung regeln.
Wir dürfen keine Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Jetzt aber auf uns
Kommunen zu zeigen, die sehr gute Arbeit in der Flüchtlingsunterbringung und in der
Integration leisten und hier sehr viele Ressourcen investieren, das finde ich nicht fair.
Daher habe auch ich mich gegen die Fortführung der Finanzierung privater
Seenotrettung aus öffentlichen Mitteln des Landkreises ausgesprochen. Ich
betrachte diese Form der privaten Seenotrettung, so gut sie auch gemeint ist, als
mitverantwortlich für das Entstehen von kriminellen Schlepper-Strukturen.
Bundeskanzler Scholz hat sich bereits vor über einem Jahr beim EU-Gipfel in
Granada von der öffentlichen Finanzierung privater Seenotrettung distanziert, Union
und FDP ebenfalls.
Für die Stadt Konstanz gilt: Sie ist „Sicherer Hafen“ und hat einen gültigen Beschluss
des Gemeinderates, den ich mitgetragen habe, bis 2026 jährlich 10.000 Euro an
Zuwendungen für die Seenotrettung von Geflüchteten zu verausgaben – auch wenn
unsere haushalterische Lage noch schlechter ist als die des Landkreises.
Für mich geht es im Kreistag wie eingangs gesagt um ein Symbol – und meine
ablehnende Haltung ist ein Zeichen, das ich persönlich setze. Der Status Quo ist nicht
gut. Wir Landkreise, Städte und Gemeinden sind völlig überlastet und wir sind
frustriert. Es darf nicht so bleiben, wie es ist. Nichts ist gut in der Seenotrettung, und
nichts ist gut in der Migration. Hören wir doch auf, so zu tun.
Konstanz, 11.12.2024
Uli Burchardt
Oberbürgermeister der Stadt Konstanz
